was nach der c/o pop kommt…
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was nach der c/o pop kommt…

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… ist nicht nur ein mordsmäßiger Kater, sondern auch eine Bilanz.

Das fünftägige c/o pop Festival in Köln nahm am Sonntag sein Ende nach unzähligen Konzerten, vielen Parties und einer Spuck-Attacke. Und einem merkwürdig verstörenden Auftritt von Steve Strange. Welcome to the Twilight Zone.

Es ist also an der Zeit diese fünf ereignisreichen Tage Revue passieren zu lassen.

 

Beirut, Philharmonie, Mittwoch 12. August

 

Konzerte gibt es viele in Köln, besonders viele gute. In Rahmen der c/o pop werden daraus außergewöhnliche.

Der Beweis dafür wird gleich am ersten Tag angetreten: Beirut in der Philharmonie. Das bedeutet: Musik „von der Straße“ im klassischen Ambiente, befremdlich irgendwie… oder doch so passend? 

Zunächst eröffnet Lokalmatador Johannes Stankowski samt Band den Abend. Die eine Hälfte des Kölner Duos Werle & Stankowski führt mit folkiger Singer-Songwritermusik und äußerst charmanten Ansagen in den Abend hinein und ist sichtlich stolz und glücklich über diese Aufgabe. Der Sound ist, wie sollte es anders sein, fantastisch. Als Zach Condon und seine fünf Freunde nach einer kleinen Pause die riesige kreisrunde Bühne betreten, die sonst von einem ganzen Orchester ausgefüllt wird, wirken sie beinahe etwas verloren. Mit „Nantes“ wird gleich zu Beginn das erste Highlight rausgehauen, allerdings klingt Zachs Stimme etwas dünn und das Tempo latent fahrig; man scheint ein wenig nervös zu sein. Kein Wunder, im Zuschauersaal herrscht das genau gegenteilige Bild: bis unters Dach sieht man gefüllte Ränge, nur hier und da mal ein leerer Platz. Der fast 2000 Gäste fassende Saal ist so gut wie ausverkauft. Dennoch legt die Band bei der Akustik und der Sympathie, die ihr entgegen gebracht wird, ihre Nervosität schnell ab und liefert einen gekonnten Querschnitt der letzten drei Alben. Beeindruckend, wie Zach Condon immer wieder zwischen Gesang und Trompetenspiel wechselt: Wo nimmt der Typ bloß die ganze Luft her? Überhaupt, die Bläser: wenn die sich erheben und bis in die letzte Fuge der Philharmonie kriechen, geht ein kollektiv-glückseliger Seufzer durch den Saal, der nicht selten in begeisterten Applaus mündet. Für Enthusiasmus sorgt auch die Ukulele, „best instrument in the world“, wie Zach Condon grinsend zugibt: spätestens bei „Postcards From Italy“ unterschreibt ihm dieses Statement jeder blind im Saal. Ansonsten gibt sich das Kölner Publikum eher zurückhaltend. „You are so polite“ entfährt es da einem Bandmitglied, und endlich, gegen Ende des regulären Sets, hält es ein Großteil der Besucher nicht mehr auf den Sitzen. Sie feiern die Band und den Abend; die folgende Zugabe ist da obligatorisch. Doch auch nach dieser will die Menge keine Ruhe geben, während die Lichter angeknipst werden und einige wenige zufrieden den Saal verlassen, reißt der Applaus und reißen die Zurufe einfach nicht ab. Und siehe da, sie werden erhört: Beirut betreten erneut die Bühne. Was dann geschieht, wird wohl in die Annalen der Philharmonie eingehen. Nach einer kleinen Geste Zachs an die Fans in den vorderen Reihen, doch auf die Bühne zu kommen, schwärmen zig Leute aus, um dieser Aufforderung nachzukommen. Ehe man sich versieht, ist der komplette Bühnenraum gefüllt mit ausgelassenen Menschen. Das Intro von „Rhineland (Heartland) ertönt und setzt der Euphorie die Krone auf: „Life, life is all right on the rhine“ – welch Untertreibung. Für heute Abend gibt es keinen schöneren Ort als genau hier. Straßenmusik in der Philharmonie – das passt. Und wie!

 

Moderat, Gloria, Mittwoch 12. August

Wer keine der heißbegehrten Exklusiv-Tickets für das Konzert von Beirut in der Philharmonie mehr ergattern konnte oder statt folkiger Schwermut im Hochkultur-Korsett lieber solide elektronische Musik auf der Schwelle von Club und Konzert vorzog, der war zum Auftakt der c/o pop am Mittwoch im altehrwürdigen Gloria gut aufgehoben. Dort spielte das zur neuen elektronischen Supergroup stilisierte Berliner Trio Moderat, bestehend aus den beiden Mitgliedern von Modeselektor und Sascha Ring alias Apparat, eines seiner derzeit vielumjubelten Konzerte. Die ersten Beats des Abends bahnten sich allerdings aus dem Laptop von Lokalmatador Till Rohmann aka Glitterbug den Weg ins schon recht gut gefüllte Gloria. Gemeinsam mit den Visuals von Ronni Shedar ging der Auftritt durchaus als „Moderat light“ durch. Musikalisch pendelte sich Glitterbug bei melancholisch-schönen Glöckchen-Techno ein, der in guten Momenten durchaus an Pantha Du Prince oder Lawrence erinnern konnte, sich auf Dauer aber in zu starkem Formalismus verlor und damit nicht ganz an das heranreichen konnte, was Glitterbug auf seinem im letzten Herbst veröffentlichten Album „Supershelter“ geboten hat.
Nach einer Umbaupause reiten sich schließlich die drei Jungs von Moderat auf der vollen Breite der Bühne auf. Sofort wird deutlich, dass man es mit drei archetypischen Figuren zu tun hat: Links Sebastian Szary, der mürrische Dandy, der kaum einmal von seinen Gerätschaften aufblickt, in der Mitte der sympathische Gernot Bronsert, der den anderen beiden die Richtung vorgibt und für die Interaktion mit dem Publikum zuständig ist und rechts Apparat als röhrenbejeanster Techno-Posterboy, der einem auf der Warschauer Straße in Berlin nicht weiter aufgefallen wäre. Unterstützt von den Bildern des Pfandfinderei-VJs spielten Moderat ein sehr homogenes Live-Set, deren einzelne Stücke oft nahtlos wie bei einem DJ-Set ineinander übergingen. Echte Highlights waren nicht auszumachen, vom schwelgerischen Rusty Nails mit Sascha Rings schüchterner Stimme bis zum Electro-Dub-Kracher „Slow Match“ wurde das gesamte Spektrum des Debüts dargeboten. Einen kurzen Schockmoment gab es nach ca. 20 Minuten zu überstehen, als die Anlage plötzlich den Geist aufgab. Nachdem dieser Fehler behoben wurde, ging es noch über eine Stunde weiter, bevor Bronsert nach der letzten Zugabe gestehen musste, nun wirklich kein Stück mehr in der Hinterhand zu haben. Die Zuschauer haben es ihm und seinen beiden Kollegen nicht übel genommen und so verließen die Mehrheit das Gloria glücklich gen heimischem Bett, wohl wissend, dass man sich für die kommenden Tage besser noch ein wenig Kraft aufsparen sollte.

Patrick Wolf, Offenbachplatz, Donnerstag, 13. August

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Einer der großartigen Höhepunkte der c/o pop war eindeutig Patrick Wolf, der zu einer wahnwitzigen Audienz auf dem Offenbachplatz lud. Der exzentrische Londonder übernahm nach einem eigenartigen Auftritt der 80er Jahre Ikone Steve Strange von Visage (nähere Aussagen über seinen Zustand verkneifen wir uns an dieser Stelle) die kleine Bühne. In opulenter Kostümierung inklusive Pferdegeschirr auf dem Kopf schmetterte er als Opener „Vulture“ aus seinem aktuellen Album „The Bachelor“ und brachte die an sich schon kochende Menge zum Ausrasten. Angeheizt durch das ihn äußerst warm empfangene Publikum drehte auch Wolf richtig auf und hüpfte wie losgelöst über die Bühne, erklomm die Verstärker und vollzog eine kleine Peep-Show. Zarte Berührungen im Schritt ernteten lechzende Blicke aus dem Publikum.

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Doch wollte er seine fünfköpfige Live-Band nicht lange alleine lassen und begab sich wieder zum centre of the stage. Seine Show, die ein Potpourri an sowohl alten und auch neuen Songs bot, war außerdem gespickt mit kleinen Anekdoten aus seinem noch so jungen Leben. So erzählte er wie viel ihm Köln bedeutet und wie gern er doch in Köln ist, denn war es doch das Kölner Plattenlabel Tomlab, das ihn damals unter Vertrag nahm bevor er zu Universal wechselte und wie er selbst bemerkte „this was when the shit started“. Patrick Wolf, dieser kleine Poet, hat es eindeutig faustdick hinter den Ohren und läßt nicht nur auf der Bühne so richtig die Sau raus. So sprang er wie ein Blitz von der Bühne, tauchte ein in die Menge und ließ seine Fans bei „Battle“ ordentlich das Mikrophon malträtieren. Zurück auf der Bühne holte er im nächsten Moment seine Ukulele hervor und spielte „The Libertine“, die Menge tobte.

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Nach einem kleinen Kostümwechsel stürmte der platinblonde Paradiesvogel die Bühne und gab ein erstaunliches Cover zum Besten. Zur Überraschung aller performte er seine Interpretation von Shakiras „She Wolf“ . Eins ist Patrick Wolf sicherlich nicht- vorhersehbar. Den Beweis dafür lieferte Wolf gegen Ende des Konzerts. Der Zauber der vergangenen 90 Minuten nahm ein abruptes Ende, als man ihm nur noch vier Minuten Spielzeit gewährte. Aber er wollte seine Kölner Fans nicht enttäuschen (hat er ihnen doch so viel zu verdanken) und trällerte einfach weiter- bis ihm filmreif der Strom abgestellt wurde. Vor Wut rasend schmiß er mit Mikrophonen und anderen Gegenständen und spuckte sogar. Im Grunde fehlte nur noch das Kamerateam einer MTV-Realityshow. Er schrie zu seinen Fans „I’m so sorry, I tried so hard. Ask your money back!“ Einige Tage nach dem Desaster entschuldigte sich Patrick Wolf für sein Verhalten und gab zu, dass dann doch der Wolf mit ihm durchging.

WhoMadeWho & Trentemøller, Opernterrassen, Donnerstag, 13. August

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Wer denkt, dass Dänemark ein verschlafenes kleines Land im Norden ist, der wurde am Donnerstag in den Opernterrassen eines Besseren belehrt. Denn dort rollte die „Danish Entourage“ ein und zeigte den Kölnern wie man so richtig die Puppen tanzen lässt. Und das besser als John Cusack im Weirdo-Film „Being John Malkovich“ von Spike Jonze. Nach einer kurzen Zeit des Eingroovens ging es auch direkt los mit einem Live-Set der Durchstarter WhoMadeWho, die sich beim Electro-Tanzpulk großer Beliebtheit erfreuen konnten. Eindeutig auf ihrer Seite hatten sie die schwitzige Menge als sie zu den ersten Takten ihres Underground-Gassenhauers „Keep Me In My Plane“ ansetzten. Erstaunlich heiß war das Publikum auf die Dänen und WhoMadeWho gaben ihn genau das was sie in dem Moment in dieser Nacht wollten- gute tanzbare Mucke. Und genau damit ging es nach dem Auftritt von WhoMadeWho weiter, denn direkt nach ihnen stellte sich die DJ-Gottheit Trentemøller höchstpersönlich ans Mischpult und verzauberte die Massen mit einem kaleidoskopischen Set und brillierte durch einen Mix aus eigenen Stücken und remixed Songs von dem Phöenix aus der Popmusik-Asche-Phänomen Britney Spears. Trentemøller ist nun mal ein alter Hase in dem Business und weiß wie man die Massen bei Laune hält. Es sei denn, sie sind so wasted, daß sie trotz dröhnender Techno-Bässe ein Nickerchen machen.

 

The Whitest Boy Alive, Offenbachplatz, Freitag 14. August

 

Der zweite Abend auf der Open-Air Bühne am Offenbachplatz gehört The Whitest Boy Alive. Und zwar ganz sprichwörtlich: welchen Beliebtheitsgrad Erlend & Co. Beim Kölner Publikum besitzen, zeigt nicht nur der hohe Besucherandrang; die Jungs haben einfach von Anfang an das Publikum fest im Griff. Bei den Temperaturen und unter der sommerlichen Abendsonne können sie mit ihrer Musik aber auch kaum etwas falsch machen, das passt einfach zu gut. Trotzdem wird natürlich nicht nur die Hitliste der bisherigen beiden Platten runtergespielt. Als bekennende Fans der 80er und 90 er-Jahre Melo-Disko wird lustig vor sich hingecovert: „Show me love“ von Robin Stone, „Billie Jean“ von – ja, genau – und sogar Chris Isaacs „Wicked Game“, bei dem – ausgerechnet! – Erlend dann doch an seine gesanglichen Grenzen stößt. Aber das interessiert heute Abend niemanden, seine Entertainmentqualitäten kompensieren das locker. Verstörend sind da schon eher die meterlangen, akkurat gebildeten Schlangen an der Biertheke, die sich keinen Meter vorwärts bewegen wollten. „Man, ist das zivilisiert hier!“ entfährt es da meiner Begleitung. Aber die war ja auch nicht bei Patrick Wolf am Abend vorher…

 

Kompakt Total 10, Freitag, 14. August

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Mit der Kompakt-Party während der c/o pop ist es wie mit der weihnachtlichen Zusammenkunft bei der Tante. Man weiß schon im Voraus, dass es sich eigentlich wie jedes Jahr nicht unbedingt lohnen wird, geht aber trotzdem hin. Aus Pflichtbewusstsein, aus Gewohnheit, aus Angst, doch etwas Besonderes zu verpassen? Wohl von allem etwas. Dem Ruf der alten Tante Kompakt folgten auch in diesem Jahr wieder so viele ergebene Jünger, dass sich der Einlass für alle, die nicht im Besitz der 22 Euro teuren Tickets waren,  zu einer wahren Gedultsprobe entwickelte. Abwechslung bot währenddessen Erlend Oye, der nach dem Whitest-Boy-Alive-Konzert am frühen Abend nun als wandelnder Bänkelsänger mit Akustikgitarre in den Händen um den Offenbachplatz zog. Endlich drinnen angekommen, gab es als erstes die neue, dem Anlass entsprechend zu kleine und teilweise saunaartig aufgehitzte Location „Opernterrassen“ zu bemängeln. Doch wie bei der Tante gibt es auch bei Kompakt kleine Lichtblicke. Meistens sind das die Cousins und Cousinen, die mal wieder etwas größer geworden, dabei aber immer noch niedlich geblieben sind. Das Koordinatensystem mit den Parametern „niedlich“, „Techno“ und „Köln“ findet seit Jahren seinen Schnittpunkt ziemlich genau bei Michaela Dippel alias Ada, die mit ihrem neugestalteten Liveset den kleineren der zwei Räume temperaturmäßig über den Siedepunkt brachte. Vom Sägezahn-Sound ihres Heimatlabels Areal scheint Ada sich endgültig emanzipiert zu haben und nun eher damit beschäftigt zu sein, dem Sound-of-Cologne ein zeitgemäßes House-Update zu verpassen. Wir warten gespannt, ob ihr dies bald auch auf Albumlänge gelingen wird. Kein Update dagegen im größeren Raum: Superpitcher und Michael Mayer boten ein zwar im ersten Teil erfreulich deepes, letztlich aber doch enttäuschendes, weil sich in abgestandenen Kompakt-Klischees verlierendes Set dar. Da konnte auch der Brasilianer Gui Boratto mit seinem zuckergeschockten Breitwand-Trance-Pop nichts mehr ausrichten, auch wenn die Hände der überraschend zahlreich anwesenden Zahnarzthelferinnen und Kfz-Mechaniker alle in der Luft waren. Die bessere Alternative zur Afterhour in Odonien war danach, sich zu Hause das aktuelle Pitchfork-Interview mit Michael Mayer durchzulesen und dabei dessen Mix aus Highlights der Jahre 1998-2004 zu hören. Denn das hatte die alte Tante wenigstens noch Biss.

Bonaparte, Gloria, Freitag 14. August

Am Freitag verwandelte sich das Gloria in eine Art Zirkuszelt, in dem der Cirque du Soleil auf Crack gastierte. Die crazy Band Bonaparte spielte ein Konzert, nein, vollzog eine Performance der Extraklasse. Marina Abramovic wäre stolz gewesen. Der Schweizer Frontmann Tobias Jundt eröffnete mit „Do You Want To Party?“ und man hätte die Setlist nicht besser konzipieren können. Völlig losgelöst und sich der Musik hingebend, rastete die Party-Meute komplett aus. Nach und nach traten immer mehr Protagonisten dieses Schauspiels namens „Bonaparte in Concert“ auf die Bühne. Dem geneigten Zuschauer bot sich ein visueller Overkill- ein Mitglied einer Marching Band mit apartem Lampenschirm auf dem Kopf, ein Gorilla, eine mumienhafte Lady in abgewetzten Stiefeln und ein Hase tauchten wie aus dem Nichts auf. David Lynch lässt grüßen. Oder eben Lützenkirchen. Hauptsache druff, druff, druff. Doch eins sei gesagt- diese Kostüme änderten sich dutzende Male im Laufe der eineinhalb Stunden. So durchlebte der schwarze Vogel eine eindrucksvolle Metamorphose, bei der sogar Charles Darwin gestaunt hätte. In der Tat war die Performance von Bonaparte so packend, daß die Musik zur Nebensache wurde. Aus der Trance erwachte man dann wieder durch den immer noch omnipräsenten Hit „Anti Anti“ bei dem mindestens sechs Stagediver/Crowdsurfer unterwegs waren. Denn die Hemmungen mußte man genauso wie die Flaschen draußen vor der Tür des Gloria in die Tonne treten. Eben da, wo sie hingehören. Die Mumienfrau war mittlerweile zu einer waschechten S/M-Domina geworden und der schwarze Vogel defintiv in der Mauser. Wenn diese Visual Trashpunker aus Berlin und dem Rest der Welt eins draufhaben, dann den Hedonismus in all seiner Großartigkeit glorifizieren. All die Verwirrten, die noch nicht in den Genuss des hedonistischen Lebensstils kommen konnten oder eher wollten, rüttelten sie mit „Too Much“ wach und brüllten ihnen „You Know James Joyce / I Like Your Voice“ entgegen. And I can hear the sirens coming. 

Wer also mal ein kleines Tutorium in Sachen „Lebenslust statt Lebensfrust“ braucht, muss nur zu einem Bonaparte-Konzert gehen. Lärm, schöne Frauen mit Irokesenschnitt und Bierduschen. Wer zur Hölle macht sich bei so einem Schauspiel schon Gedanken über sein Dasein als Individuum der Generation Praktikum?! Dann neigte sich das Konzert langsam dem Ende zu, der schwarze Vogel war mittlerweile zur lebenden Discokugel geworden und schmiss mit Glitzer-Konfetii um sich. Durchgeschwitzt waren alle und vor allem eins- high von Endorphinen. So hauen Bonaparte als letzten Song noch mal den Kracher „Do You Want To Party?“ raus. Um die Frage zu beantworten: Wenn Bonaparte am Start sind- JA!

Theo Parrish, Gloria, Samstag 15. August

Schon im letzten Jahr war das Gloria Theater mit seinen tollen Konzerten die heimliche Zentrale der c/o pop. Seit einiger Zeit findet dort mit „Smile“ einmal im Monat eine wohlkuratierte neue Partyreihe statt. Gemeinsam mit House-Koryphäe Marcus Worgull lockte die Smile-Macher zur Clubnacht am Samstag mit dem Detroiter Theo Parrish eine lebende Legende in die Apostelnstraße. Nach dem grandiosen Auftritt von Larry Heard im vergangenen Jahr schient der Houselegenden-Samstag schon eine kleine Tradition geworden war. Nur zu Beginn war das zum Club verkleinerte Gloria etwas gewöhnungsbedürftig. Das gemütlichere Subway hätte aber wohl dem zu erwartenden Ansturm nicht standgehalten. Vor dem Altmeister durfte sich aber zunächst der Nachwuchs in Form des Trios „Brandt Brauer Frick“ austoben. Mit präpariertem Piano, Vibraphon, Synthesizern und viel Percussion gaben die drei eine äußerst überzeugende Steve-Reich-Version 2.0 ab und zeigten, dass Klassik und elektronische Musik vor allem dann zusammen funktionieren, wenn weniger die große Geste als der Spaß am Experimentieren und Improvisieren im Vordergrund stehen. Parrish übernahm danach mit einem für ihn typischen DJ-Set, das neben dem jazzigem Deephouse seiner eigenen Produktionen vor allem aus viel Soul und Funk bestand. Da ist sich jemand der Wurzeln von House bewusst und hat keine Scheu, dass auch gegen mögliche Erwartungshaltungen im Publikum zu zeigen. Die nötige Offenheit wurde jedoch von den meisten aufgebracht, sodass es glücklich stahlend und ein wenig auch spirituell erleuchtet nach Odonien zur Treibstoffparty ging, wo sich die Sonne nicht bitten ließ und eifrig mitstrahlte. Dass man danach zur müde für die Pollerwiesen-Abschlußsause mit Paul Kalkbrenner war, hat wohl niemand der dort Anwesenden ernsthaft bereut. Es wäre auch nicht so einfach gewesen, an einem Sonntagnachmittag in Köln noch einen Friseur zu finden, der einem eine stilgerechte Unisexfrisur verpasst hätte.

Black Lips, Offenbachplatz, Samstag, 15. August

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In der Vergangenheit haben die Black Lips mit ihren Auftritten für mehr Furore gesorgt als mit ihrer Musik. Da wurde schon mal ein Feuerlöscher ins Publikum gehalten, Gitarren wurden angezündet;  gerne auch gespuckt oder uriniert. Auf der c/o pop verlief der Auftritt von Cole, Jared, Ian und Joe hingegen ganz zahm: keine Körperflüssigkeiten, keine Zungenküsse. Aber auch kein Grund zur Enttäuschung. Denn abseits von Provokationen und Schockmomenten spielten sich die „drunk psychedelic flower punks“ in die Glieder der Zuschauer. Getanzt wurde zu Songs vom letzten Album wie „Short Fuse“ oder „Starting Over“. Selbstverständlich durften auch Klassiker wie „O Katrina!“ oder „Hippie Hippie Hoorah“ diesmal nicht fehlen. Obwohl das Set mit zahlreichen Samples bespickt wurde, kam der Sound ohne überflüssige, glattgeleckte Effekte aus. Er war dreckig, roh und simpel, aber verdammt gut. Man hörte und sah einfach die Leidenschaft, welche die vier Jungs aus Atlanta beim Spielen entwickeln. Eine Energie, die auf das, leider, leicht überschaubare Publikum am Offenbachplatz übergesprungen ist: die „Bad Kids“ hielten es nicht mehr aus, stürmten die Bühne und stimmten den Refrain zusammen mit der Band an. Als kleine Kostprobe gab es noch ein Lied von „The Almighty Defenders“ – eine Bandfusion aus Black Lips und King Khan & BBQ –deren Album Ende September erscheint. Mit diesem gospelartigen Bluessong hat eins der besten diesjährigen c/o pop Konzerte sein Ende genommen.

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Eine Gemeinschaftsarbeit von Christa Herdering, Julian Jochmaring, Irina Raskin und Alice Polansky

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