lydia lunch- ein abend beladen mit sex und noise
 [ zu hause ]

lydia lunch- ein abend beladen mit sex und noise

lydialunch70ies

Als sich die kirschroten Lippen zu einem verschmitzten Lächeln formten, wusste man, wer auf der Bühne des Blue Shell in Köln steht. Es war dasselbe schelmische Lächeln, das einem von diversen Schwarz-Weiß Photographien aus den 70ern entgegen strahlte. Die faszinierendste Frau auf diesem Planeten beehrte das Kölner Publikum am 22.11. mit ihrer Anwesenheit- Lydia Lunch.

In intimer Atmosphäre bewies sie, dass sie vor Energie strotzt. Ihre Ausstrahlung füllte die gesamte Luxemburger Straße. Mit ihrer Band Big Sexy Noise schritt sie durch das Publikum zur Bühne, legte ihre Abendtasche ab und war bereit loszulegen. Doch der volle Club jubelte ihr so laut zu, dass sie einen Moment innehalten musste. In der nächsten Sekunde legte ihre Live-Band bestehend aus James Johnston, Terry Edwards und Ian White los und gab den Startschuss für einen speziellen Abend, beladen mit Sex und Noise. Auch mit 50 Jahren weiß Lydia Lunch noch mit dem Publikum zu spielen, die Stimme mit Erotik und Wut zu füllen und Tänze aufzuführen, die an transzendentale Meditation erinnern.

Unnahbar erschien sie oft in der Vergangenheit, war das Anti-Posterchild der depressiven, nihilistischen New Yorker Underground Avantgarde Szene der 70er Jahre. Mit ihrer schwarz gefärbten Mähne und der lederlastigen Garderobe erstürmte sie mit ihren Bands Teenage Jesus And The Jerks, Beirut Slump oder 8-Eyed-Spy die Bühnen der Lower East Side. Sie war Teil einer Bewegung, die sich den Konventionen nicht anpassen wollte, sich das Mikrophon nahmen und schrieen um gehört zu werden. No Wave war die Antwort auf die von den Massenmedien geschätzten New Wave Stilrichtung. Die Apokalyptiker übten Widerstand, nahmen Instrumente in die Hand, die sie gar nicht beherrschten, aber es war egal, es ging schließlich nur darum rauszugehen und etwas zu kreieren. Sich bemerkbar zu machen. Nicht nur Ja und Amen zu sagen. No Wave galt als Anti-Musik, übelster Punkrock, zittrige Gitarren und irres Gejaule. Und das ganze gepackt in Zweiminüter. Eine Kakophonie, die die allgegenwärtige Teenage Angst so hörbar machte, dass man sie nicht länger ignorieren konnte. Als eine der ersten war es Lydia Lunch, die sich mit Teenage Jesus And The Jerks ein künstlerisches Ventil schuf, um ihre eigene Wahnsinnigkeit herauszulassen. Ihre Albträume waren die Albträume vieler junger Menschen, die sich dem Kapitalismus nicht beugen und keine 9-to-5 Jobs annehmen wollten. Sie und Weggefährten wie James Chance, Arto Lindsay oder Thurston Moore trafen den Nerv der Zeit. Denn der Schmerz war zu der Zeit noch universaler als die Liebe. Lydia Lunch hat es mit ihrem epochalen Stück (interessanterweise nur eine B-Seite) „The Agony Is The Ecstasy“ selbst am besten pointiert. Doch anstatt sich im Selbstmitleid zu ertränken und sich der morbiden Romantik völlig hinzugeben, schlug sich Lydia Lunch mit ihrer Fuck Off-Attitüde durch. Ihre Mission war und ist es, die Menschen wachzurütteln. Im Laufe der Jahre entwickelte sie sich zu einer ernstzunehmenden Künstlerin, die aber nicht den Mainstream bedienen kann. Nicht nur aufgrund ihrer Message, auch wegen ihrer besonderen Art zu performen. Wechselt sie mal zwischen sinnlichem Gestöhne und dämonischem Krächzen. Sie ist eine Anti-Heldin und gerade das macht sie so großartig.

lydialunch70ies

Schon in ihren damaligen Bands gab sie den Ton an und die Männer folgten und das schon 20 Jahre vor der Riot Grrrl-Bewegung. Zwar zieht sie auch heute noch ihr Ding durch, aber mit den Herren ihrer Band Big Sexy Noise harmoniert sie perfekt. Selbst dann, wenn sie einen Song spielen, den sie vor dem Auftritt komponiert haben. Ein Höhepunkt war definitiv der Song „Your Love Don’t Pay My Rent“, bei dem sich nicht nur das Publikum völlig verausgabt hat. Als letzte Zugabe spielten Lydia Lunch und Big Sexy Noise- auf Wunsch eines Zuhörers- „Kill Your Sons“, den fantastischen Song von Lou Reed in Eigeninterpretation. So verließ Lydia Lunch die Bühne und ihre vormals unterkühlte Erscheinung war wie verwandelt. Denn auf der Bühne stand eine Frau, die sich dafür bedankte, dass überhaupt jemand an einem Sonntag Abend gekommen ist. Sie suchte Augenkontakt mit den Bewunderern im Publikum. Auch wenn sie zerfressen vom Kampf mit inneren Dämonen sein mag, am Ende ist sie eine Künstlerin, die es genießt ein Publikum zu haben, das ihr zuhört. Das Lächeln kommt aus tiefstem Herzen. Oder wie Thurston Moore es im Nachwort ihrer Autobiographie „Paradoxia“ schrieb- she can love you.

Diese Seite wird nicht mehr gepflegt. Beiträge, Live-Stream und Playlists findet ihr hier:
cm3
This is default text for notification bar