Bei diesem Konzert war die Vorfreude mal wieder groß. Mit einer solchen Steilvorlage wie dem letzten Album „Dr Boondiga & The Big BW“ hat das neuseeländische Dub-Konglomerat Fat Freddy’s Drop aber auch seine Fans sprich wörtlich in Zombies verwandelt, verzweifelt danach lechzend, diese sich stets so rar machende Band endlich mal live erleben zu können. Klar waren sie schon öfter in Deutschland, vor zwei Jahren konnte man The Black Seeds in Köln erleben, denen einige Mitglieder von Fat Freddy’s Drop angehören, doch war das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Musik mag zwar artverwandt sein, jedoch mit der des Septetts nicht zu vergleichen, schließlich will man etwas ganz bestimmtes hören, wenn man Fat Freddy’s Drop hört: die unvergleichliche Stimme von Sänger Joe Dukie, dessen Organ nicht wenige Musikexperten für das derzeit beste weltweit halten.
Ein Nachkomme der neuseeländischen Ureinwohner, der Maori, stellt mit seiner Band die Welt auf den Kopf. Will man ihre Musik beschreiben, kommt man sich etwas blöd vor, wenn man sie als Dub- und Reggaeband abstempelt, wie es sonst allerorts zu lesen ist. Auf ihrem neuen Album zelebrieren sie die Diversität, spielen dubbig scheppernde Zehnminüter, aber auch fordernden Ska, R’n’B zum dahinschmelzen oder unfassbar gut umgesetzten Minimaltechno.
Und nun war es endlich soweit und Fat Freddy’s Drop hatten, nach einigen deutschen Auftritten seit ihrer Gründung im Jahr 2001 und der ersten europäischen Veröffentlichung im Jahr 2005 – ihrem zweiten Album „Based On A True Story“ – den allerersten Auftritt außerhalb des Chiem-, des Fühlinger Sees und – natürlich – Berlin, in der rheinischen Hauptstadt des Frohsinns, in Köln in der Live Music Hall. Und man fragte sich mal wieder: „Wer wird wohl, außer einige üblichen dreadgelockten Reggae-Verdächtigen, noch dieses Konzert heute Abend besuchen?“ Die Antwort folgte auf dem Fuß, als man in die Lichtstraße in Köln-Ehrenfeld einbog, auf der die Live Music Hall beheimatet ist und sich schon eine Schlange am Eingang gebildet hatte: aus allen möglichen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten kamen schlichtweg Musikliebhaber zusammen, um einer großartigen Liveband zu frönen.
Das Vorprogramm mit Ninja Tune-Veteran DJ Vadim, Sabira Jade und Pugs Atomz als The Electric hatte schon längst begonnen, als die Menschen noch immer in den Biergarten der Venue strömten – die letzten 50 Karten an der Abendkasse waren innerhalb von sage und schreibe zehn Minuten weg, somit war das Konzert restlos ausverkauft. Die Live Music Hall füllte sich schnell und mit der Zuschauerdichte pro Quadratmeter stieg auch die Temperatur, wie es sich für ein Konzert von Fat Freddy’s Drop gehört.
Pünktlich um 21 h betrat der bandeigene Ansager MC Slave die Bühne und kredenzte lautstark dem hungrigen Publikum in bester Michael Buffer-Manier, worauf es ohnehin schon wochenlang gewartet hatte: „Here for you on stage direct from Lago Bay, Wellington, Alteroa: this sound is original, this sound is the one and only Fat Freddy’s Drop.“. Drei Bläser, ein Mann am Keyboard, ein Gitarrist, ein über allem thronender DJ Fitchie an den Controllern und Sänger Joe Dukie erhielten einen warmen Empfang von der bis auf den letzten Platz gefüllten Live Music Hall. Ein Drummer fehlte allerdings. Leider, denn dieser wurde im Verlauf des Abends schmerzlich vermisst. Klar, hinterher liest man überall, dass sie, wenn überhaupt, eigentlich fast nur im Studio mit einem Schlagzeuger arbeiten, und dass live DJ Fitchie mit seinem MPC diesen Part übernimmt. Dennoch hätte gerade ein Live-Drummer diese oft 15 bis 20 Minuten in die Länge gezogenen Stücke mit einer lockeren Spielweise und ein wenig Jamming und Improvisation in ihrer Schwere aufbrechen können. Jedoch füllte die blendende Horn-Section um Joe Lindsay, Toby Laing und Scott Towers diese Leerstelle hervorragend aus und bediente mit Posaune, Trompete, Tuba, Mundharmonika und diversen Saxophonen zudem eine große Bandbreite an Blasinstrumenten. Iain Gordon an Rhodes-Piano und mehreren Synthesizern sorgte für den nötigen Crisp von den Tasten, während Tehimana Kerr an der Gitarre mit seinem verranzt-virtuosem Spiel zum Einen dem Ganzen etwas Härte – stellenweise kam man sich sogar vor wie bei dem Konzert einer Postrock-Band – an anderer Stelle wiederum aber den Songs den letzten Schuss Funkyness verlieh. Einzig und allein Sänger Joe Dukie kam einem manchmal etwas hilflos vor. Ausgerechnet der Joe Dukie, mit dem das ganze Produkt steht und fällt, das die Band dem Zuschauer zu vermitteln versucht. Doch bei solch ausufernden und stark auf die Instrumente fokussierten Live-Versionen, wie sie bei Fat Freddy’s Drop an der Tagesordnung stehen, kann einem, der ausschließlich auf der Bühne steht, um zu singen und ein wenig die Gitarrensaiten zu streicheln, durchaus etwas langweilig werden. Und so tänzelte Joe Dukie ein wenig vor seinem kleinen Synthesizer, den er nur für einige wenige Stücke brauchte, wanderte von einem Ende der Bühne zum anderen, stieg zu DJ Fitchie auf sein Pult und schaute ihm wie ein Schüler über die Schulter oder verließ die Bühne mal ganz, um einige Minuten später pünktlich zu seinem Einsatz wieder zu erscheinen.
Ein erster Blick auf die Uhr bedeutet ja nicht zwingend, dass einem langweilig ist, doch ganz weit weg davon ist diese Handlung auch nicht. Umso mehr spricht es für die Band, dass es dem Autor erst nach fast anderthalb Stunden einfiel, zu schauen, wie viel Zeit denn schon vergangen war. Ungefähr dann, als die letzten Klänge von „The Nod“ verklungen waren, als es leise wurde und DJ Fitchie von seinem MPC eine Bass in bestem Technotempo raushaute und Joe die Worte „House. Music.“ in sein Mic hauchte. Die Zeit für den „Shiverman“, dem Höhepunkt des Konzerts in Köln, war gekommen. Joe Dukie stand am Sequencer und sampelte sich selbst und jedes einzelne der zu diesem Zweck herbeigeeilten Bandmitglieder, um die Aufnahmen anschließend auf abenteuerliche Weise zu loopen und daraus einen ganz eigenen Beat zu formen. Trotz der Hitze in der Halle hielt von nun an die ca. 2.000 Zuschauer nichts mehr und plötzlich hatte sich die vorher noch verträumt bewegende Live Music Hall in einen regelrechten Rave verwandeln, bei dem die Beats aus den Boxen pumpten, der Schweiß in Strömen floss und die Menschen ihre Hände hoben und tanzten, wie sonst nur in der einen Block entfernt liegenden Papierfabrik.
Nach zwei Stunden dachte dann die Band an dem Abend ein erstes Mal ans Aufhören und verließ die Bühne, doch die fabelhafte Crowd in Köln ließ ihnen keine andere Wahl, als abermals für eine Zugabe zurückzukommen, die mit „Wild Wind“ auch fast schon erwartungsgemäß länger ausfiel, als man erwartet hatte. So gingen nach ca. zweieinhalb Stunden viele zufriedene Gesichter aus der Venue, um sich erst mal bei einem Erfrischungsgetränk im Biergarten für den Heimweg zu stärken. Auf diesem wurde man nochmal von DJ Vadim und seinem Team abgefangen, der 50 Meter von der Live Music Hall den Kofferraum seines Kombis in ein leises – schließlich waren wir ja noch immer in einem Wohngebiet – aber feines Soundsystem verwandelt hatte und noch ein paar wenige Lieder auf der Straße zum Besten gab – einfach so. Schnell hatte sich eine feiernde Menschentraube um The Electric versammelt, die fröhlich zu den Beats der auf einem Bügelbrett aufgebauten Konsole von DJ Vadim tanzte, während Pugs Atomz die Menschen zum Mitsingen animierte und Sabira Jade abermals ihre gesanglichen Fähigkeiten leise und dennoch stimmgewaltig unter Beweis stellte. Eine aberwitzige Situation, von der man eiskalt und dennoch sehr erfreut erwischt wurde und einen sagenhaften Abschluss eines ebensolchen Abends bildete.