30.000 Studierende sollten eigentlich in der Woche vom 4. bis zum 8. Juli an der Heinrich-Heine-Universität ein neues Studierendenparlament wählen. Doch am Abend des ersten Tages wird die Wahl abgebrochen – weil der Wahlausschuss eine ordnungsgemäße Durchführung im Sinne der Wahlordnung nicht mehr gewährleisten kann. Was genau dahinter steckt, haben Maximilian Rieger und Tim Neumann in den letzten drei Wochen recherchiert. Sie haben mit diversen Mitgliedern des aktuellen Wahlausschusses, ehemaligen Wahlleitern und Mitgliedern des AStA gesprochen und erfahren, wie eine unglückliche Kombination aus persönlichem und strukturellem Versagen zu einem „wahllosen durcheinander“ geführt hat.
Montag, 4. Juli 2016. Auf dem Campus der Heinrich-Heine-Universität wird gewählt. Über 30.000 Studierende sind dazu aufgerufen, das SP, das Studierendenparlament zu wählen – das höchste studentische Gremium an der Uni.
Aber, es gibt Probleme. Viele Probleme. An den neun Urnen fehlen zum Beispiel ausgedruckte Wahlordnungen, Wahlinformationen und vor allem: Wahlhelfende. Viele Urnen sind statt mit zwei nur mit einer Person besetzt, wie Stephanie Koglin-Bühnsack berichtet, die selbst SP-Wahlen mitorganisiert hat.
Da waren zum Teil fünf parallele Urnen oder mehr, die nur einfach besetzt sind. So schnell bekommt man ja nicht noch Leute dazu und selbst wenn der ganze Wahlausschuss sich dazu setzen würde, wären es immer noch nicht genug. Da war für mich eigentlich schon der Zug abgefahren.
(Stephanie Koglin-Bühnsack, Wahlhelferin)
Denn einfach besetzte Urnen machen es sehr viel einfacher, die Wahl zu manipulieren. Außerdem sind die Wahlhelfenden, die an den Urnen sitzen, nicht richtig geschult. Statt einem Workshop, in dem alle Eventualitäten durchgesprochen werden, gab es nur zwei DIN-A4-Zettel mit Anweisungen. Das führt zu
weiteren Fehlern.
Zum Beispiel muss auch der Studierendenausweis irgendwie entwertet werden, sodass man nicht zwei Mal wählen gehen kann. Deshalb wird im Studierendenausweis eigentlich ein SP-Stempel draufgesetzt, auch die Stimmzettel müssen eigentlich gestempelt werden, sonst kann man ja irgendwie mit einem Trick sich die selber ausdrucken. Das sollte eigentlich nicht möglich sein, aber wer weiß? Und die Stimmzettel sollten abgezählt sein, damit man nachher auch weiß, ob die Anzahl der Stimmzettel stimmt, sonst könnten ja auch Wahlhelfer einfach 50 ausfüllen und reinwerfen. Wir haben auch immer Unterschriften von den Wählenden bekommen – das ist dieses Mal auch nicht gewesen.
(Stephanie Koglin-Bühnsack, früheres Mitglied des Wahlausschusses)
Aber all diese Fehler sind nicht ausschlaggebend dafür, dass am Abend auf den Fluren der Uni knallorangene, handgeschriebene Zettel auftauchen:
Der aktuell beschlussfähige Wahlausschuss kann nach bestem Wissen und Gewissen die Richtigkeit der Fortführung der bislang durchgeführten Wahl zum Studierendenparlament im Sommersemester 2016 nach den Grundlagen der Wahlordnung der Studierendenschaft der Heinrich-Heine-Universität nicht gewährleisten.
(aufgehängte Plakate des Wahlausschusses)
Abbruch nach nur einem Tag
Kurz: Die SP-Wahl 2016 ist nach nur einem Tag abgebrochen – fünf hätten es sein sollen.
Diese Entscheidung hat der Wahlausschuss getroffen. Der Wahlausschuss soll die SP-Wahl organisieren und durchführen – so, wie es in der Wahlordnung steht, einem Dokument, in dem Paragraph für Paragraph geregelt wird, wie die Wahl ablaufen soll. Der Wahlausschuss besteht aus fünf Personen, von denen vier am Montagabend in Düsseldorf die Entscheidung treffen:
Die stellvertretende Wahlleiterin Nilani Reginold und die weiteren Mitglieder Sarah Kryzanowski, Nina Graf und Yasmin Köferstein. Der Vorsitzende des Wahlausschusses und damit Wahlleiter, Moritz Asbrand ist nicht in Düsseldorf, sondern befindet sich seit mehreren Tagen im Urlaub. Er ist damit nicht vor Ort, als Probleme mit den Stimmzetteln auftauchen – Probleme, die nach langen Diskussionen dann zum Abbruch führen werden.
Um zu verstehen, welche Probleme es mit den Stimmzetteln gab, sind die zwei Wochen vor der Wahl entscheidend. Ab dem 20. Juni müsste nämlich das WählerInnenverzeichnis für fünf Tage für alle Studierenden einsehbar sein. Im WählerInnenverzeichnis sind alle Studierenden aufgelistet, die an der Heine-Uni eingeschrieben sind. Diese Studierenden dürfen wählen und gewählt werden – wer nicht drin steht, hat diese Rechte nicht.
Der 20. Juni ist aber auch aus einem anderen Grund ein wichtiges Datum: Bis 12 Uhr müssen alle Listen, die an der Wahl teilnehmen möchten, dem Wahlausschuss einen Zettel übergeben, auf dem alle Kandidatinnen und Kandidaten stehen. Neun Listen geben diese Wahlvorschläge ab. Die Wahlvorschläge müssten jetzt darauf untersucht werden, ob alle Kandidatinnen und Kandidaten auch im WählerInnenverzeichnis stehen – und damit gewählt werden dürfen.
Aber: Das WählerInnenverzeichnis liegt nicht vor. Wahlleiter Moritz Asbrand hatte eigentlich versprochen, die Verzeichnisse bei der Uni zu beantragen.
Ich habe mich darum gekümmert. Allerdings ich bin ins SSC gegangen, da wurde gesagt: „Es wurde gemacht.“ Es wurde nicht gemacht, es war die falsche Stelle. Und es hat gedauert, erstmal die richtige Stelle herauszufinden.
(Moritz Asbrand, LHG, Wahlleiter)
Anstatt selber zu überprüfen, ob das Verzeichnis fristgerecht am 20. Juni ausliegt, bittet Asbrand seine Kollegin Sarah Kryzanowski, das zu tun. Kryzanowski schafft das aber erst am Donnerstag und sieht dann: Die Verzeichnisse, die seit vier Tagen einsehbar sein müssten, sind nicht da. Die Kandidatinnen und Kandidaten können nicht überprüfen, ob sie überhaupt wählbar sind. Und der Wahlausschuss, der dies eigentlich überprüfen müsste, tut das erstmal auch nicht.
Wir haben dann einfach alle, die eingereicht wurden, – ohne sie prüfen zu können – dann als gültig angesehen.
(Moritz Asbrand, LHG, Wahlleiter)
Erst am Freitag, drei Tage vor der Wahl, liegt dem Wahlausschuss das WählerInnenverzeichnis vor. Asbrand ist da schon im Urlaub, andere Mitglieder des Wahlausschusses bekommen das Verzeichnis – gemeinsam mit Mitgliedern des AStA-Vorstandes. Und erst am Sonntag, einen Tag vor der Wahl, kontrollieren die vier verbliebenen Mitglieder des Wahlausschusses, ob alle Kandidatinnen und Kandidaten im Verzeichnis stehen.
Sie tun es nicht. Gary Strauß, Mitglied der Satire-Liste „Affen für Düsseldorf“ und Fabiola Schneider von der Liberalen Hochschulgruppe LHG sind nicht verzeichnet und damit nicht wählbar. Dabei sind beide an der HHU eingeschrieben – es ist ein Verwaltungsfehler der Uni, der dafür sorgt, dass beide nicht im Verzeichnis stehen. Das ist auch der Grund, warum das Verzeichnis zwei Wochen vor der Wahl ausliegen soll: Um solche Verwaltungsfehler rechtzeitig zu entdecken und die Betroffenen Zeit haben, einen Nachweis über ihr Immatrikulation zu erbringen. Aber am Sonntagabend vor der Wahl ist es dafür zu spät und der Wahlausschuss muss eine Entscheidung treffen: Schreiben wir die Namen von Fabiola Schneider und Gary Strauß auf den Stimmzettel – oder nicht?
Die Entscheidungsfindung
Die Entscheidungsfindung gestaltet sich schwierig. Die vier Mitglieder des Wahlausschusses, die in Düsseldorf sind, sind dafür, die Namen nicht auf den Stimmzettel zu schreiben – so wie es die Wahlordnung vorsieht. Wahlleiter Moritz Asbrand interveniert per Telefon. In seinem Amt als Wahlleiter soll Asbrand neutral bleiben – er ist aber auch Vorsitzender der LHG, der Liste von Fabiola Schneider. Laut Nina Graf hat ihn das bewogen, seine Funkstille im Urlaub zu beenden.
Es war teilweise unmöglich ihn zu erreichen. Er aber hat das ganz bewusst getan, nämlich mit uns Kontakt aufgenommen. Als er der Meinung war, dass Punkte gegen seine Liste laufen, er hat also auch nicht die Neutralität gewahrt. Und er hat dann versucht, obwohl er nicht anwesend war, auf uns einzuwirken, was unserer Meinung nach nicht okay war.
(Nina Graf, Campusgrün, Mitglied des Wahlausschusses)
[Update 1. August 2016: Moritz Asbrand widerspricht nach Erscheinen dieses Beitrags der Darstellung Grafs, dass er „teilweise unmöglich“ zu erreichen gewesen wäre. Laut Asbrand sei er die gesamte Zeit erreichbar gewesen. Er hat hochschulradio düsseldorf Screenshots seines Telefonverlaufes aus dem Zeitraum 1. Juli bis 4. Juli geschickt, aus denen hervorgeht, das Asbrand keinen Anruf eines Mitglieds des Wahlausschusses verpasst hat. Es ist für uns aber nicht möglich, sicher festzustellen, ob dieser Verlauf verändert wurde oder nicht und ob es von Seiten der anderen Mitglieder des Wahlausschusses weitere Versuche gab, Asbrand über E-Mail oder andere Kommunikationswege zu erreichen.]
Am Ende entscheiden Graf und ihre anderen Kolleginnen gegen Wahlleiter Asbrand – auf den Stimmzetteln stehen die Namen von Fabiola Schneider und Gary Strauß nicht drauf.
Aber auch wenn der Wahlausschuss damit gemäß Wahlordnung entschieden hat – weil das WählerInnenverzeichnis nicht rechtzeitig auslag, ist die Wahl anfechtbar. Und die beiden betroffenen Listen drohen, die Wahl anzufechten, wenn am Dienstag keine neuen Stimmzettel ausliegen – mit den fehlenden Namen.
Neue Stimmzettel aber würden dazu führen, dass andere Listen die Wahl anfechten würden. Das Chaos ist perfekt: es scheint, dass es egal ist, was der Wahlausschuss jetzt tut – die Wahl wird in jedem Fall angefochten und sehr wahrscheinlich mit Erfolg. Am Montagabend entscheiden die vier anwesenden Mitglieder des Wahlausschusses, die Wahl abzubrechen. Sarah Kryzanowski beginnt, die knallorangenen Zettel zu schreiben.
Aber warum kam es zu einem solchen organisatorischen Versagen des Wahlausschuss? Ein Hauptverantwortlicher ist sicher Wahlleiter Moritz Asbrand, der das nach der Wahl auch einräumt.
Am Ende denke ich einfach, dass wir als Wahlausschuss und ich als Wahlleiter die Aufgaben unterschätzt haben.
(Moritz Asbrand, LHG, Wahlleiter)
Als Wahlleiter war Asbrand dafür verantwortlich, einen Überblick über die erforderlichen Schritte zu haben und Aufgaben wie die Organisation des WählerInnenverzeichnisses selber zu übernehmen oder sie zu delegieren. Aber die Kommunikation im Wahlausschuss hat nicht funktioniert. Sarah Kryzanowski nennt die interne Kommunikation schwierig, auch Nina Graf kritisiert Moritz Asbrand nach der Wahl.
In der Tat gab es bei der Kommunikation immer wieder Schwierigkeiten. Im Vorfeld gar nicht mal so stark beziehungsweise konnte man das noch nicht einschätzen, denn die Kommunikation war deshalb im Vorfeld schwierig, dass der Wahlleiter uns nicht mitgeteilt hat, was noch nicht erledigt wurde und was noch erledigt werden muss.
(Nina Graf, Campusgrün, Mitglied des Wahlausschusses)
Auch Asbrand selbst sagt, dass die Kommunikation teilweise schlecht gelaufen ist – sieht die Schuld aber auch bei den anderen Mitgliedern des Wahlausschusses und den Listen, die sie entsendet haben.
Ich glaube, dass die Listen, die Leute in den Wahlausschuss geschickt haben, die wurden nicht so richtig aufgeklärt, was für eine Bedeutung der Wahlausschuss hat. In einer Sitzung vor der Wahl zum Beispiel hat eine gesagt: „Wir sind ja auch ohne mich beschlussfähig, ich gehe auf einen Geburtstag gehen.“ Das zeugt irgendwie davon, dass der ganze Ernst dieses Prozesses nicht so ganz verstanden wurde. Es ist, denke ich auch etwas – bei aller Schuld, die ich mir aufzuladen habe und mir auch auflade – etwas, worüber man reden muss. Das kann halt einfach in meinen Augen so nicht sein.
(Moritz Asbrand, LHG, Wahlleiter)
Die Bennung des Wahlausschusses
Der Benennungsprozess für den Wahlausschuss hat das Scheitern der Wahl begünstigt. Fünf Mitglieder hat der Wahlausschuss – welche Liste wie viele Mitglieder schickt, hängt von der Stärke im Parlament ab. Die Jusos durften als stärkste Kraft zwei Mitglieder entsenden, Nilani Reginold und Yasmin Köferstein. Auf sie spielt Asbrand an, wenn er von unerfahrenen Mitgliedern spricht: Reginold und Köferstein hatten keinerlei Erfahrung in der Hochschulpolitik. Kein Problem für Michael Swoboda, der für die Jusos im AStA-Vorstand sitzt.
Es ist ja auch nicht wichtig, dass man hochschulpolitische Erfahrung hat im Wahlausschuss. Wenn wir uns den Wahlausschuss des letzten Jahres anschauen, dann hatte dort auch kein Mitglied hochschulpolitische Erfahrung. Es ist aus meiner Sicht sogar eher hinderlich, wenn man in der Hochschulpolitik verstrickt ist.
(Michael Swoboda, Jusos, Mitglied des AStA-Vorstands)
Anders sieht das sein Vorstandskollege Benjamin Bartels. Der hat als Mitglied des RCDS an der Benennung von Sarah Kryzanowski mitgewirkt, die auch dem RCDS angehört.
Da war es halt wichtig, dass wir jemanden mit Erfahrung reinschicken, weil auch wenn der Wahlausschuss kein beliebtes Gremium ist, so ist es doch ein wichtiges Gremium. Es ist halt wichtig, Leute reinzusetzen, die sich mit Strukturen und mit Satzung und allem möglichen auskennen und dann auch wissen, wo und wie sie wen fragen müssen. (Benjamin Bartels, RCDS, Mitglied des AStA-Vorstands)
Bei Kryzanowski bestand allerdings das Problem, dass sie für die Arbeit im Wahlausschuss eigentlich nicht genug Zeit hatte. Sie war ursprünglich auch nicht für diese Arbeit vorgesehen – erst am Tag der ersten Sitzung des Wahlausschusses wurde sie ernannt, nachdem die ursprüngliche Kandidatin des RCDS kurzfristig abgesagt hatte. Auch Asbrand sollte eigentlich kein Wahlleiter werden – mangels Alternativen wurde er es dann doch. Dabei verlief seine Benennung für den Wahlausschuss keineswegs vorbildlich – schildert zumindest Christiano Spina, Mitglied im Referat für Schwule und Bisexuelle Studierende. Dass Asbrand überhaupt Mitglied des Wahlausschusses wurde, war eine buchstäbliche Schnapsidee seiner LHG-Kollegen auf Spinas Geburtstagsfeier im Februar.Update 30. Juli 2016.: Nach Aussage von Asbrand nach Erscheinen dieses Bericht wurde eine mögliche Benennung Asbrands bereits im Vorfeld auf einer Sitzung der LHG beschlossen. Die Benennung wurde allerdings wie im folgenden Beschrieben auf der Geburtstagsfeier von Christiano Spina durchgeführt.]
[
Es war schon verhältnismäßig spät und Alkohol ist auch gut in Strömen geflossen. Das kann man den Leuten aber auch nicht anprangern, es ist halt eine Party. In dem Zug an einem gewissen Punkt haben dann Leute von der LHG Moritz für den Wahlausschuss vorgeschlagen und das wurde dann halt in handschriftlicher Form eingereicht bei Kathi Sternke, weil sie ja fürs Präsidium – soweit ich weiß – dafür zuständig ist, das anzunehmen.
(Christiano Spina, Mitglied des Referats für Schwule und Bisexuelle Studierende)
„Ouzogetränkt“ sei der Benennungszettel gewesen, sagt die SP-Präsidentin Kathi Sternke auf der ersten Sitzung nach dem Abbruch. Sarah Kryzanowski erfährt dort zum ersten Mal davon.
Ich war da auch schockiert, als ich das gehört habe. Ich habe zwar die Wahlvorschlagszettel gesehen und dachte: Okay, lagen halt schon in einigen Taschen herum. Aber davon hatte ich keine Kenntnis. Das ist für mich auch einfach eine Wertigkeit gegenüber dieser Wahl dafür anzutreten. Wir schreien immer groß nach demokratischer Selbstverwaltung der Studierendenschaft und treten sie dann quasi so mit Füßen.
(Sarah Kryzanowski, RCDS, Mitglied des Wahlausschusses)
Die Posse um die alkoholisierte Benennung ein gutes Beispiel dafür ist, wie wenig Respekt die Beteiligten dem Wahlausschuss entgegen bringen. Dabei hat der Wahlausschuss sehr wichtige Aufgaben – die aber selten von Menschen ausgeführt werden, die ihnen gewachsen sind. Denn wer im Wahlausschuss sitzt, kann natürlich nicht selber antreten. Und deswegen möchte jede Liste dann natürlich ihr Spitzenpersonal nicht in diesen Ausschuss schicken – wichtige Stimmen könnten verloren gehen.
Ein weiterer Grund für die Unbeliebtheit des Wahlausschusses ist der hohe Arbeitsaufwand. Besonders in den zwei Monaten vor der Wahl häuft sich die Arbeit – auch weil die Fristen in der Wahlordnung sehr eng getaktet sind. Erst zwei Wochen vor der Wahl weiß der Wahlausschuss, welche Listen teilnehmen möchten – viel Arbeit in kurzer Zeit. Das ist keine neue Erkenntnis. Schon die vorherigen Wahlausschüsse hatten mit diesen engen Fristen zu kämpfen. Fabian Koglin, der Wahleiter der SP-Wahl 2013, hatte deswegen mit dem damaligen Wahlausschuss eine neue Wahlordnung entworfen.
Da haben wir dann halt Vorschläge ausgearbeitet, die wurden ja auch damals vom Studierendenparlament verabschiedet, aber haben dann den Weg durch die studentische Bürokratie nicht zur Hochschulverwaltung gefunden und sind deshalb nie bekannt gegeben worden und nie in Kraft getreten.
(Fabian Koglin, früheres Mitglied des Wahlausschusses)
Ein weiteres Beispiel für den sorglosen Umgang aller Listen mit dem Wahlprozedere. Die neue Wahlordnung versandet und keine Liste sorgt in den folgenden Jahren, dass das Thema wieder auf die Agenda kommt. Dabei wäre eine Neufassung der Wahlordnung dringend nötig, sie weißt an vielen Stellen Lücken oder Ungenauigkeiten auf. Ein Abbruch wird zum Beispiel nur einmal erwähnt: Wenn die Siegel der Wahlurnen beschädigt werden, muss die Wahl laut Paragraph 15 der Wahlordnung abgebrochen werden.
Ergeben sich bei der Feststellung der ordnungsgemäßen Versiegelung Unregelmäßigkeiten, so hat der Wahlausschuss die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Über einen Abbruch der Wahl entscheidet gegebenenfalls der Wahlausschuss.
(Paragraph 15, Absatz 8 der Wahlordnung des Studierendenparlaments)
Ironischerweise ist die Versiegelung aber mit das einzige, was in diesem Jahr ohne Probleme geklappt hat – auch drei Wochen nach der Wahl sind die Urnen noch unter Verschluss. Alle anderen Probleme, die dieses Jahr zum Wahlabbruch geführt haben, sind nicht geregelt – der Wahlausschuss musste die Wahlordnung sehr weit auslegen, um die Wahl vorzeitig abzubrechen.
[Update 28. September 2016: Nach Angaben der SP-Präsidentin Katharina Sternke waren die Urnen nicht ordnungsgemäß versiegelt. Bei den vermeintlichen Siegeln soll es sich um einfache Plastik-Streifen handeln, die ohne sichtbare Beschädigung entfernt und wieder angebracht werden können.]
Abbruch oder Unterbrechung der Wahl?
Und nicht alle legen die Wahlordnung so weit aus. Zwei Tage nach dem Wahlabbruch schreibt das Dezernat für studentische Angelegenheiten dem Wahlausschuss eine Mail. Das Dezernat ist auf Seiten der Universität für das Studierendenparlament zuständig. Der Dezernatsleiter Berthold Czyperek und sein Mitarbeiter Oliver Beil bitten in der Mail, die WählerInnenverzeichnisse aufzubewahren.
Bitte bewahren Sie die Wählerverzeichnisse sorgfältig und unter Verschluss auf, da die Verzeichnisse nach unserer vorläufigen Einschätzung für die Fortsetzung der abgebrochenen Wahl für das Sommersemester 2016 benötigt werden.
(E-Mail vom Dezernat für studentische Angelegenheiten an den Wahlausschuss, das Präsidium des SP und den AStA-Vorstand)
Die Uni geht also davon aus, dass die Wahl nicht ab– sondern nur unterbrochen ist. Bedeutet: Es würde im Herbst keine neue Wahl geben, sondern die noch laufende Wahl würde fortgesetzt werden – und zwar auf Grundlage des WählerInnenverzeichnisses aus dem Sommersemester.
Zusätzlich vernichtet der Wahlausschuss die Verzeichnisse bereits einen Tag nach dem Abbruch – so wie es die Wahlordnung vorsieht. Das teilt der Wahlausschuss der Uni mit und stellt in einer Mail klar:
Gleichzeitig möchte ich Sie darauf hinweisen, dass die Wahl keineswegs unterbrochen wurde und fortgesetzt werden soll. Der Wahlausschuss hat die Wahl abgebrochen, so dass sie schnellstmöglich komplett wiederholt werden muss.
(E-Mail des Wahlausschusses an das Dezernat für studentische Angelegenheiten)
Dieser Argumentation schließt sich auch das Studierendenparlament auf der ersten Sitzung nach dem Abbruch der Wahl an. Ohne Gegenstimmen spricht sich das SP dafür aus, die Wahl als abgebrochen zu behandeln.
Ist die Wahl nun ab- oder unterbrochen? Die Studierenden und das zuständige Uni-Dezernat sind sich nicht einig: Mails werden hin und her geschickt – dabei reden die beiden Parteien meist aneinander vorbei: Die Uni betont zwar immer wieder, dass die Wahl eine Angelegenheit der Studierendenschaft sei; trotzdem hat die Uni die Rechtsaufsicht und ist somit verantwortlich, dass es bei der Wahl mit rechten Dingen zugeht. Für den Wahlausschuss ist der Abbruch definitiv und die vernichteten WählerInnenverzeichnisse können nicht wiederhergestellt werden. Schließlich mischt sich auch Rektorin Anja Steinbeck in den Mail-Verkehr ein: In einer Mail an den AStA-Vorstand bittet sie um Informationen, wie es zum Abbruch der Wahl kam denn das Rektorat hatte vom Wahl-Abbruch wohl zuerst aus der Presse erfahren.
Der Wahlausschuss muss sich nun mit der Uni einigen, wie mit der gescheiterten Wahl umgegangen wird. Davon ist nämlich auch abhängig, wie eine mögliche Wahl im Wintersemester ablaufen würde. Falls die Wahl nur unterbrochen wurde und fortgesetzt werden würde, müsste im Sommersemester nach dem gleichen WählerInnenverzeichnis gewählt werden – das würde bedeuten, dass die neuen Erstis nicht wählen dürften; dafür dürften – kurioserweise – mittlerweile exmatrikulierte Studierende weiterhin ihre Stimme abgeben.
Pläne für eine neue Wahlordnung
Soweit wird es aber wahrscheinlich nicht kommen: Die Uni und der Wahlausschuss sind an einer einvernehmlichen Lösung interessiert – eine Lösung, die auf Grundlage der Wahlordnung rechtlich sauber ist. Dabei deutet alles auf eine Neuwahl im Wintersemester hin: Der Wahlausschuss hat einstimmig beschlossen, die Wahlzettel, die am ersten Wahltag am 4.7. ausgefüllt wurden, zu vernichten. Dafür müssen die Siegel der Urnen zerstört werden – spätestens dies würde einen Abbruch der Wahl bedeuten – so sagt es die Wahlordnung.
Eine verworrene Situation – hervorgerufen dadurch, dass die Wahlordnung einen Wahlabbruch nicht vollständig definiert. Auch das soll in einer neuen Wahlordnung besser werden. Genauso wie ein anderes Problem, das immer wieder aufgetreten ist und dieses Jahr ein große Problem war: Die Besetzung des Wahlausschusses. Auch dafür hatte sich der Wahlausschuss 2013 um Fabian Koglin eine Lösung ausgedacht
Etwas, was immer eine Frage ist, ist die Besetzung des Wahlausschusses, wo die Listen ein bisschen so mit ihren Füßen schleifen. Da hatten wir auch halt eine Provision eingebaut, die quasi automatisch Listenmitglieder zum Anfang des Wahlsemesters besetzt, damit auf jeden Fall Leute dabei sind und da sich niemand rausreden kann – „Ja, aber wir finden keinen“ -, sondern dann werden einfach die bestgerankten Studierendenparlamentsmitglieder der zu benennen Fraktionen rekrutiert.
(Fabian Koglin, früher Mitglied des Wahlausschusses)
Damit wäre sichergestellt, dass die Listen sich früh genug darum bemühen, geeignete Mitglieder zu finden – sonst würden sie womöglich viele Stimmen bei der nächsten Wahl verlieren, weil ihre Top-Leute im Wahlausschuss sitzen.
Die Veränderungen, die Koglin vorschlägt, sollen auf der nächsten SP-Sitzung diskutiert und verabschiedet werden. Ob die neue Wahlordnung dann auch für die neuen Wahlen im November gilt, hängt dann davon ab, wie schnell das Rektorat die Wahlordnung offiziell bekannt gibt. Eins ist auf jeden Fall klar: Der aktuelle Wahlausschuss wird die neue Wahl im November nicht durchführen: die Mitglieder haben angekündigt im Laufe der nächsten Tage zurückzutreten. Ein neuer Wahlausschuss wird die neue Wahl organisieren – um das wahllose Durcheinander an der Heine-Uni zu beenden.